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Kriegsenkel: Das zähe Seelenerbe des Zweiten Weltkrieges

Die Zeit Online hat am 13. April 2016 einen sehr lesenswerten Artikel von Matthias Lohre
zu der Kriegsenkel-Thematik veröffentlicht.

 

Er beschreibt darin, dass seine Schwester und er ihre Zwänge und Ängste von ihren Eltern geerbt haben, obwohl diese immer wieder betont hatten, dass die Kinder "es mal besser haben sollten", als sie - die Kriegskinder-Generation.  Er fragt sich, was da trotzdem "so gründlich schiefgelaufen" ist und liefert mögliche Erklärungen, die auf den Äußerungen unterschiedlicher Experten auf diesem Gebiet beruhen.


So sagen die Traumatherapeuten Udo Baer und Gabriele Frick-Baer, dass "bei vielen Kriegskindern die Schwere, die Not, die Mühsal das ganze Erleben eingenommen hätten" und "diese Erfahrungen  die Art und Weise, wie alle anderen Geschehnisse beurteilt werden beeinflussten". Sie ergänzen, dass damit in der zweiten Generation dies so aufgenommen würde, "als würde ihnen das Glück nicht gegönnt, als ob nichts gut sein dürfe".

 

Ihrer Meinung nach sind die Kinder der Kriegskinder - also die Kriegsenkel -  in einer Art doppelter Realität aufgewachsen: zu einem Teil in der Welt des materiellen Wohlstands nach dem Krieg, zum anderen Teil 2in einer unsichtbaren Sphäre verschwiegener Nöte". Eine Ambivalenz zwischen sehen/wahrnehmen und fühlen.

 

Wer als Kind Not und Hunger litt, wie die Eltern oder Großeltern konnte den Grund seiner Leiden meist klar benennen: den Krieg. Wer jedoch in wachsendem materiellen Wohlstand aufgewachsen ist, der findet nur schwer eine Erklärung. Und den Eltern die Schuld für die eigene Seelennot zu geben, liegt vielen Kriegsenkeln fern oder kommt ihnen nicht in den Sinn. Denn man möchte sich nicht als Verräter der Eltern erleben, die es ja nur das Beste für ihre Kinder wollten.


Auch das Phänomen, sich selbst emotional fremd zu bleiben rührt meist in demselben Empfinden der Eltern. Daraus folgt oft, dass die Kinder der Kriegskinder nicht gelernt haben, der eigenen Wahrnehmung zu trauen.

 

Auch Margarete und Alexander Mitscherlich beschriebene 1967 "die Unfähigkeit zu trauern" der Kriegsgeneration und der Kriegskinder, die sich den -enkeln fortgepflanzt hat; "als Unfähigkeit, sich und anderen zu vertrauen". Sie (die Kriegsenkel) leben folglich im ständigen Zweifel.
Das bedeutet, dass die Älteren den Jüngeren nicht ihre Traumata vererbt haben, sondern deren Folgen.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Raphael (Montag, 02 Oktober 2017 23:05)

    Alles was in dem Artikel steht, ist natürlich absolut richtig. Ich selbst bin z. B. von diesem Thema persönlich sehr stark betroffen: Ein Großvater bei der Waffen-SS, der andere in Russland gefallen. Mein Vater hat den Tod seines Vaters nie richtig überwunden und hat sein ganzes Leben darunter gelitten.

    Bei einem Familienstellen ist mir die Tragweite der Situation erstmals so richtig bewußt geworden. Lösung habe ich aber keine (das würde ja natürlich auch den Rahmen eines Blogkommentars sprengen.).

    Die Frage, die sich mir nach dem Lesen des Artikels daher stellt, das ist: Wie geht man - als Betroffener - mit der Situation um, bzw. wie löst man sie?

  • #2

    Goldmann (Donnerstag, 09 Juli 2020 08:49)

    riegskinder- und -enkel in der Psychotherapie von Luise Reddermann 2015 erschienen.

  • #3

    Stephanie (Montag, 10 August 2020 11:05)

    Hallo Raphael,
    nach meiner Erfahrung können gerade Aufstellungen nicht nur zum Erkennen der Thematiken, sondern auch bei der Auflösung der Themen (z.B. der übernommen Schuld, Scham, Unzulänglichkeitsgefühlen etc.) helfen. Aber auch in der Therapie / Coaching gibt es hilfreiche Ansätze (Genogramme o. Genosoziogramme, Teile-Arbeit, Introspektion etc.) Vielleicht magst Du mal Ererbte Wunden heilen von Katharina Drexler lesen.. LG